Mittwoch, 4. Mai 2016

Russland gegen den Rest der Welt

hrend sich der russische Teilnehmer Sergey Lazarev mit Siegeswillen während der Proben in Stockholm in seiner virtuellen Umgebung abmüht, arbeitet sich der Rest der Welt an Russland ab.  

Fans werden im Vereinsheft der OGAE darüber informiert, dass der Ärmste ein staatlich verordnetes Ziel zu erreichen habe und malen ihm im dunklen Russland eine düstere Zukunft aus. Seine Vorgängerin Polina Gagarina leide seit dem ESC 2015 unter "massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Klinikaufenthalten und einer gebrochenen Persönlichkeit". So lt. OGAE die "verschiedensten Quellen und Gerüchte".

Wie kommt Russland beim ESC zu seinem Schmuddelimage?
Um die Länder Ukraine, Armenien und Israel wurde in Vorbereitung auf den ESC eine Musikpromotion gefahren, die offensichtlich auf eine Konfrontation mit Russland angelegt ist. Damit werden die "verschiedensten Quellen und Gerüchte" vorbereitet. Dass der amerikanische Präsident Obama in seiner Rede in Hannover ausgerechnet mit Bezug auf den ESC an ein Wir-Gefühl zu appellieren versucht beweist zumindest, dass selbst Trivialitäten wie dieses Popspektakel zur Mobilmachung genutzt werden. Vielleicht erklärt dies auch die Einbindung des Nato-Partners Australiens. Und wie der Zufall so will, hat sich nun auch der schwul-lesbische Sender Logo in den USA die Fernsehrechte am ESC gesichert. Was für ein weltumspannendes schwules Bollwerk. Doch wozu? Eins steht fest:

Was uns aller Wahrscheinlichkeit nach um den 14. Mai 2016 in Form eines Eklats oder lauten Missfallensäußerungen gegen Russland als einhellige Publikumsmeinung vorgeführt werden soll, wurde nachweislich akribisch vorbereitet.

Ukraine: Im Song wird vordergründig einer tatarischen Minderheit auf der Krim gedacht, die 1942 mit den Nazis kollaborierten (kein Problem) und daraufhin 1944 auf Anordnung Stalins deportiert wurden (großes Problem). Obwohl das Verhältnis dieser Volksgruppe nicht nur zu Russland, sondern auch zu Europa und zur Ukraine noch stets gespannt ist, wird mit Desinformationskampagne der öffentliche Diskurs auf 1 Jubel-Perspektive pro West-Ukraine beschränkt.

Armenien: Bereits Anfang März tweetete ich, dass ich auch im Falle Armenien noch auf was „Spezielles“ warte. Und siehe da… Brandneu seit April: Kämpfe zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan wieder entfacht. Mag Zufall sein. Weniger neu war, dass die armenische Sängerin mit Statements zur totalen Betroffenheit den Karabach-Konflikt auf sich bezog und prompt 2 Promo-Auftritte absagte (Beispiel). Es ist, als hätten einige Länder ein Patent auf die Opfer-Rolle (s. Armeniens Beitrag 2015), so auch 

Israel: Der israelische Sänger Hovi Star behauptet, dass ihm vor 6 Wochen bei der Passkontrolle am Moskauer Flughafen der Pass zerrissen wurde und begründet dies mit der Schwulenfeindlichkeit in Russland. Anstatt Anzeige zu erstatten, wird dieser Vorfall 1 Monat später durch eine Viral-Kampagne auf Facebook ins Gespräch gebracht, sonderbarerweise durch die spanische Teilnehmerin. Vielleicht weil beide beim gleichen Label sind? Nach einem publikumswirksamen Interview griff die internationale Presse das Thema auf und zählte nun all die unbelegten Fakten auf, die zuvor unkontrolliert viral die Runde gemacht hatten, so dass nicht mehr zwischen „Passzerstörung“ und „Viralkampagne“ unterschieden werden kann. Genau wie im Fall Armenien und Ukraine verlief die Berichterstattung vorläufig im Sande. Empfehlenswert: Ein interessantes Fan-Interview mit dem Organisator der Pre-Event-Party in Russland zum Stand der Dinge.

Ausrichter in Schweden setzen auf Buh-System 
Das von Österreich 2015 eingeführte Anti-Buh-System wurde von den Schweden wieder abgeschafft mit der Begründung, dies wäre wie Zensur in einer sonst authentischen Show.  Wie kann man sich eigentlich so sicher sein, dass nicht gegen die Organisatoren selber gebuht wird? Warum schwenkte bislang nie eine Kamera ins Publikum, um diese Buhrufer „authentisch“ in Szene zu setzen? Warum werden sie nie interviewt? 

Schweden veröffentlichte ein Liste der verbotenen Flaggen beim ESC 
Unter dem Aspekt von erwünschten Buhrufen ist es interessant, dass die Schweden (ungewollt?) eine „official flag policy list“ veröffentlichten, aufgrund derer alle inoffiziellen Flaggen verboten wurden, so auch die Flaggen der Krim und Berg-Karabach. Will man damit Konflikten ausweichen, oder soll das die Buhrufer anonymisieren? 

Ferner wurden auch die Flagge des IS-Staates, der Basken und die der Palästinenser verboten, obwohl diese gar nicht am ESC teilnehmen. Einige Gruppen beschweren sich nun, dass sie dadurch mit dem IS-Staat in eine Schublade gesteckt werden. Warum werden nicht einfach ALLE Flaggen verboten? Vor der Amerikanisierung in 1998 gab es auch keine Flaggen, siehe Beispiel ESC 1996. Dafür gab es bessere Sicht auf die Bühne, viele verschiedene Sprachen und die Musik war um Einiges abwechslungsreicher.

Ausrichter in Schweden haben mal wieder das Votingprocedere geändert 
In der neuen Präsentationsform kommen die Publikums-Votings einzelner Länder nicht mehr vor. Rhetorische Frage: Sind die etwa nicht „authentisch“ genug? Offensichtlich möchte man gleichzeitig dem Telefonvoter das Geld aus der Tasche ziehen und dennoch den intern bestimmten Sieger sicher auf den ersten Platz befördern. Das Publikum wird durch den Schein der Mitbestimmung zum Komplizen von Machenschaften, über die es 0 Kontrolle hat. 

Stattdessen wird dem Juroren-Voting um so mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wodurch die Juroren unter Druck gesetzt werden können. Wenn ich die Liste der Juroren 2016 überfliege finde ich viele Musiker, die wahrscheinlich wie die Teilnehmer alle beim gleichen amerikanischen Label unter Vertrag sind. Wettbewerb? 

Wer die von Deutschland durchgeführte Erfolgsmessung von Polit-Kampagnen beim ESC hinterfragt ist Verschwörungstheoretiker 
Mit ein paar wenigen Ausnahmen wie Armenien und Ukraine wurden die 43 Musikstücke so ziemlich auf ein gleichförmiges Level getuned. Und alle müssen auf englisch singen. Wenn man dann die vorangegangenen Hetz-Beiträge, Polit-Kampagnen und politischen Spannungen zwischen einzelnen Ländern mit einbezieht, ist das Telefon-Voting nicht mehr als Geschmacksabfrage sondern als Verhaltensmessung zu werten. 

Und niemand wird jemals erfahren, wie das tatsächliche Ergebnis ausfiel und welche Rückschlüsse Militärs und Geheimdienste bei einzelnen Votern daraus ziehen werden. Denn ob uns DAS vorgelesen wird, was wirklich gewählt wurde, ist für mich immer noch nicht bewiesen.


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