Donnerstag, 5. August 2010

Die Imkermeister des natürlichen Kunsthonigs

Dass Lena Meyer-Landrut nächstes Jahr ihren Titel beim Eurovision Song Contest verteidigen soll, war also schon vor dem Finale 2010 abgesprochen. Das bestätigt meine Wahrnehmung, dass sie uns regelrecht aufgezwungen wird. Gestern abend Werbung für Lena in den ARD-Nachrichten... und ich fühle mich langsam wie ein Versuchskaninchen.

Starkonzept „Lena“

Ich bin erstaunt, dass so ein autoritäres Starkonzept in der Popmusik überhaupt ankommt. Es ist ja nicht so, dass Lena ambitioniert und exzentrisch auf die Kacke hauen will, sondern sie folgt brav und bieder einem maßgeschneiderten Plan: "Ich muss nicht noch mal gewinnen". so
Lena in einem Interview. Warum denn ein zweites mal mitmachen, Lena? Zwingt dich jemand?

Die Lena-Attribute "Natürlichkeit, Anmut, Aura" haben sich mittlerweile auch als schlichte Verkaufsstrategie entpuppt: "Alles zu extra gemacht, zu viel Absicht, zu groß und dick, die coole Friedrichshain-Fensterglasbrille, irgendwie", so
Böhmermann in seinem Blogartikel. Sein Fazit:

Da muss mehr kommen!

Ich frage: Was soll da eigentlich jetzt noch kommen? Beim Lena-Starkonzept hat man den Sieg eines internationalen Musikwettbewerbs, der doch eher als Höhepunkt einer Karriere Sinn macht, an den Anfang gesetzt, jetzt folgt naturgemäß das Recyclingprogramm. Welchen Sinn macht es überhaupt, den ESC mit solchen Kunst-Karrieren zu trivialisieren, wenn man doch eigentlich mit dem Thema längerfristig Geld verdienen möchte? Oder etwa nicht? Vorbild könnten Schweden und Norwegen sein.

Warum das Geld immer nur in die Taschen einiger weniger fließen lassen? Warum die gesamte deutsche Musikszene ausgrenzen? Warum keine Vorentscheidung mit unbekannten UND bekannten Stars? Der Bundesvision Song Contest wäre doch da ein guter Anfang.

Risiko? Beim Blick auf die
Landkarte der diesjährigen Punkteverteilung ist doch eine Blockbildung nicht von der Hand zu weisen. War Lenas ESC-Erfolg vielleicht doch eher ein außermusikalischer? Die Jurys minimierten den Risikofaktor Publikum. Um nun auch von unten zu überzeugen, greift man seit Web 2.0 gerne auf Marketing-Strategien des Social Networking in Kommunikationsportalen (Facebook, Foren, Blogs etc.) zurück. Fleißigen Support leisteten hier angeblich die Kirchen. Dementsprechend hieß Lenas erster Karriereknick nicht etwa Jennifer Braun oder Safura, sondern Joachim Gauck.

Die Imkermeister des natürlichen Kunsthonigs erschaffen sich ihren natürlichen Kunst-Fan

Aufgrund "eines" Liedes und noch vor Lenas "einem" Auftritt fanden sich schon zahlreiche absolut begeisterte Lena-Fans auf Facebook und in einem Lena-Forum zusammen. Dafür mussten sich aber Stars von Vicky Leandros bis zu den Beatles mehr anstrengen. Mit anderen Worten: Grotesk!


Lena-Fans sind auch nicht die schon vorher dagewesenen Hardcore-ESC-Fans. Den landeseigenen Beitrag in allen Ehren, aber ESC-Fans interessieren sich genauso viel oder sogar mehr für Beiträge aus anderen europäischen Ländern, vor allem, wenn diese ihre Herkunft erkennen lassen und in Landessprache gesungen werden. Überhaupt ist die Landessprache zu einer Art musikalischer Parameter avanciert, sozusagen als zusätzlicher Sound. Das gilt für jede Sprache, außer Englisch. In diesem Sinne haben Lena und die ESC-Fans sich eher verpasst.


Lena-Fans scheinen sich nur bedingt für Musik, mehr für Lena und am meisten für Deutschland zu interessieren. Überhaupt scheint die Lena-Frage bei ihnen weniger eine Geschmacks- sondern eher eine Gesinnungsfrage zu sein. Fast könnte man meinen, sie nähmen Lena und Raab nur als Aufhänger, um ihr nationalistisches Gedankengut und ihre autoritären Denkformen unters Volk zu bringen. X-beliebiges Beispiel aus einem ESC-Kommunikationsportal, das ESC-Fans überzeugen soll: „Ich vertraue Raab blind, er weiß was das Beste ist. Wer Deutscher ist und beim ESC gut abschneiden will, sollte auf Raabs Entscheidungen vertrauen.“


Stefan Raabs Erfolg...

... besteht darin, dass der NDR ihn in eine Position gehievt hat, von der aus er die ARD, deren Jugendwellen, die Presse, die Musikszene, die Fans und nicht zuletzt Lena Meyer-Landrut 2010 vor sich hertreiben und 2011 in ihre parasitären Ecken zurück verweisen kann. Mit inszenierter Verantwortung und unternehmerischer Tatkraft wird Raab uns als „neutrales“ Wunschbild des erfolgreichen Neoliberalen präsentiert. Dementsprechend hebt er in jeder PR-Meldung nicht etwa seinen musikalischen Stil oder seine Themen, sondern ausschließlich seinen Geschäftssinn hervor. In dieser Hinsicht bietet er sich genau wie Lena wie eine inhaltsleere Projektionsfläche an, die für Vereinnahmungen geradezu prädestiniert ist:


USFO als deutsch-nationale Aufgabe unermesslichen Ausmaßes.

Das deutsche Volk steht hinter Lena.

Lena unsere Rettung.

Lena, wir danken dir.

usw. usw.


Lena hat sich nie aktiv mit Musik beschäftigt, bis heute keinen geraden Ton gesungen und kam zu ihrem Erfolg wie die Jungfrau zum Kind. Wenn das Anlass zum Nationaljubel ist, könnte man genauso gut jedes Wochenende den neuesten Lottokönig preisen. Zudem aus pädagogischer Sicht ein unverantwortliches Signal an die Pisa-Generation: Pfeift auf eine Ausbildung, rühmt unter der Deutschlandfahne lieber das Glück der Auserwählten.


Freerk Huisken bezeichnet dieses Phänomen in seinem Text "
Lena, Lena, Lena. Der natürlich gänzlich unpolitische Sonntagsnationalismus" als Sonntags- und Partynationalismus, der nicht weniger gefährlich ist, nur weil er sich auf Trivialitäten wie den ESC oder die WM bezieht. Im Gegenteil! Aus dieser Perspektive macht es allerdings Sinn, wenn die deutschen Imkermeister einen Noname zur Bienenkönigin gemacht haben. Jeder renommierte Musiker, der sich vor solch einen Karren spannen lässt, müsste zumindest vor seinen Fans Rede und Antwort stehen. Aber der „neutrale“ Geschäftsmann Raab und „irgendeine“ Lena? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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