Samstag, 14. November 2009

Veraltete Träume

oder "Wer zu spät kommt, den belohnt das Leben."

So könnte man den Erfolg südosteuropäischer Länder beim ESC deuten. Viele erst nach dem Mauerfall hinzugekommen, hatten 10 Jahre später ein Abo auf die vorderen Plätze. Das alte Westeuropa wusste sich nicht mehr anders zu helfen, als die Jury zurückzufordern und verpasste sich 2009 erst mal einen Erfolg.

Darüber will ich nicht meckern: Die lustige Kinderpolka eines quirligen Weißrussen aus Norwegen gewann, und zwar richtig - auch ohne Jury. Deutschland, Frankreich und Spanien hingegen wären ohne Jury wahrscheinlich wieder die Schlusslichter gewesen. Und es steht zu vermuten, dass auch den Niederländern, Belgiern und Schweizern ein bisschen Erfolg zugebilligt werden soll, denn für 2010 wurde die Jury auch im Semifinale hinzugefügt.

Viele westeuropäische Fans setzen auf die Jury
Ihre Begründung: „Das Televoting hat über die Jahre einfach eine absolute Schieflage produziert. Dazu zählen vor allem: die Diaspora-Votings in bestimmten Ländern, die Möglichkeit, mit Mehrfachanrufen bestimmte Beiträge zu pushen, die Möglichkeit, an einem Voting teilnehmen zu können, ohne überhaupt alle Lieder gehört haben zu müssen.“

Das hört sich logisch an, ist aber meiner Meinung nach verkürzt gedacht. Was hier als Schieflage gedeutet wird, ist für die Sieger ein Spaß und die Kritiker eine willkommene Lachnummer. Denn die Schieflage wurde ausgerechnet durch das von Westeuropa forcierte Telefonvoting hervorgerufen. Clevere Delegationen haben daraufhin die Macken dieser Abstimmungsprozedur ins Gesamtkonzept einbezogen und gewonnen. Angenehme Folge war, dass die Beiträge aus deren Ländern immer ansprechender wurden. Warum dieses Wechselspiel von - meinetwegen fingierter - Nachfrage und gutem Angebot als Schieflage bezeichnen?
Eine unsympathische Schieflage nehme ich eher in der unterschwelligen Schadenfreude wahr, wenn die sonst erfolgreichen Länder endlich mal abgestraft werden, unabhängig von ihren Beiträgen. Das lässt auf tiefe Verunsicherung schließen.

Westeuropa begnügt sich mit der Defensive
Es drehte mit Wiedereinführung der Jury das Rad der Geschichte zurück, vermengte Ursache und Wirkung und suchte nach Sündenböcken. Nun dominiert erst mal die Jury den ESC-Diskurs, womit zum einen vom Rückstand abgelenkt wird und zugleich erfolgreiche Länder als Schummler diskreditiert werden können. Für das diesjährige Ergebnis klopft man sich stolz auf die Brust. Ich frage mich nur, wofür? In einer freien Marktwirtschaft ist der Rückwärtsgang doch nur Zeichen von Kapitulation. Wer ahnt, zukünftig nicht mehr gegenhalten zu können, setzt auf Risikovermeidung (Jury und Big-4!)

Statt das Publikum abzulenken und zu polarisieren, plädiere ich für einen neuen Kompromis, der vor allem Musiker unabhänger macht von außermusikalischen Rangeleien, ihnen Ansporn und breiten Spielraum gibt und gleichzeitig unterschiedlichen Rezeptionsmustern gerecht wird:
Man sollte 2 Sieger ermitteln: Einen Jury- und einen Publikumsfavoriten.


Wie würden Zuschauer und Jury folgenden Beitrag aus Bulgarien wohl bewerten?


Cosmos


Stoyan Yankoulov und Elitsa Todorova

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